”Bleeding October” 08
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Die Fahrt war ruhig verlaufen. Es waren keine wirklich Besorgnis erregende Ereignisse geschehen. Nur kurz war Sha'kafir verschwunden gewesen, während Col doch mal tiefer schlief. Der Vampir mußte zwar nachhelfen, aber der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel. Über das Abteilfenster war er aus dem Zug geklettert und hatte sich zu einem nächtlichen Festmahl in eine Stadt begeben, an die der Zug vorbei gefahren war. Seine Opfer waren schnell gefunden und auch schnell war sein grober Hunger befriedigt. Niemand würde eine kleine Straßennutte vermissen oder ihren Zuhälter oder den Penner oder... Das Blut hatte diese Nacht nicht den sonst gewohnten, süßen Beigeschmack. Auch wenn er seine Freude daran gehabt hatte, ihnen das Fleisch von den Knochen zu schälen. Seufzend lehnte Sha'kafir sich in den Ledersitz des Zugabteils zurück. Normalerweise nahm er sich sehr viel Zeit, kostete Lust und Schmerz lange aus. Doch diesmal mußte alles sehr viel schneller gehen. Langsam wurde ihm diese Aufgabe doch noch lästig.
Dann endlich kam die Durchsage. Sie fuhren in Trier ein. Er tippte Col an "Hey, wach auf, wir sind da !" und begann schon mal, nach dem Gepäck zu greifen.
"Hm ?" Nur langsam legte sich der Schleier um die Wahrnehmung des jungen Forschers und er gähnte hinter seiner Hand – dann nickte er und stand auf, strich sich kurz über das Gesicht und wisperte leise zu dem Größeren. "Verdammt, wieso bin ich schon wieder so müde ... ich brauch einen Kaffee ... glaub ich." Nur langsam begann sein Kreislauf wieder zu steigen und er sah nach Draußen, den Bahnhof dabei musternd – ohne, daß er es merkte, huschte ein Lächeln über seine Lippen und die Aussicht, diese herrliche Stadt sehen zu können, hob seine Laune beträchtlich. Doch dann sah er wieder zu Shak und seufzte – lächelte etwas verlegen und fragte ihn, während er seinen Koffer nahm und froh darum war, daß sie ein eigenes, geschlossenes Abteil hatten, so daß sie Keiner hörte. "Und wie gehts dir ? Hast du schon ... du weißt schon ..."
Der Vampir begann sein Spiel. Er lächelte sacht und nickte. Seine Zunge leckte kurz über seine Oberlippe "Als du geschlafen hast..." Aber ohne auf eine Reaktion zu warten, setzte er sich in Bewegung. Der Taxistand vor dem malerischem Bahnhof der ältesten Stadt Deutschlands war gut besucht. Doch diesmal wollte Sha'kfir niemanden wissen lassen, wohin sie wollten. So schlug er den Weg ein, der ihnen einen Autovermietservice wies. Wenig später wurde ein Mercedes SLK vorgeführt. Nachtschwarz und glänzend. Der Angestellte, der trotz Hitze im zugeknöpftem dunkelblauem Anzug herumlief, erklärte kurz alles Wissenswerte und überreichte dann die Schlüssel. Die Dame am Empfang hatte schon anfänglich alle nötigen Daten von Sha'kafir erhalten und seufzte nur, als sich Col und Shak sich von ihr abgewandt hatten. Zufrieden lächelte der Vampir und hiefte sich hinter das Lenkrad der Bonzenkarre. Wieder zeigte sich seine Ader, daß er Luxus mochte und ihn sich gönnte, wo es nur ging. Er ließ den Motor an und lauschte den Klängen. Breit lächelnd, schwang er vor Col die Wagentür auf und winkte ihn rein. Ihm war an der Nasenspitze anzusehen, daß ihm dieser offenkundige Geldrausschmiß nicht schmeckte. Doch auch das interessierte den Vampir momentan nicht. Er lehnte sich in den schwarzen Ledersportsitz zurück, stellte sich die Spiegel ein und sah dann Col grinsend an. Dann schoß der Wagen regelrecht nach vorn. Als Sha'kafir den großen Wagen durch die Straßen Triers lenkte, war ersichtlich, daß er wohl in Italien seinen Führerschein gemacht haben mußte. Er nutzte jede Lücke auf der zweispurigen Fahrbahn verkehrsregelgerecht aus und hatte den Wagen absolut unter Kontrolle. Fröhlich stimmte er in jedes Hupkonzert mit ein, ob es ihm galt oder wem Anderes, war dabei mal völlig egal. Er schien seine Freude daran zu haben, die Hupe mit seinen Flüchen in verschiedenen Sprachen zu unterstützen. Col schien das Ganze gelassen hinzunehmen und man konnte mal einen eher kindisch wirkenden Massenmöder erleben. Bald verließen sie die Stadt und suchten sich ihre Richtung zu dem Dorf, wo sie hinmußten, Newel. Die über 270 Pferdestärken trieben den Wagen zügig über die Autobahn, die sie nun entlang rasten. Zum Glück war sie freigegeben und nicht auf irgendwelche Geschwindigkeiten begrenzt, die dem Wagen nicht gut stehen würden. Auch hier legte Sha'kafir einen waghalsigen Fahrstil an den Tag. Sicher würden sie bald ankommen. Mitten im Nirgendwo. Längst lag die Mosel hinter ihnen, die sich als blaues Band durch Trier zog. Wenig später erreichten sie das verträumte Nest. Neben dem Ortseingangsschild hielt Sha'kafir auf dem Seitenstreifen an. Er machte sich eine Kippe an und sah die Straße hinab, die in den Ort Newel hineinführte. "Gleich suchen oder Hotel...?"
"Hm ? Oh, sind wir schon da ?" Ein wenig verdutzt sah Col auf und musterte die Gegend – er hatte in seinen Aufzeichnungen gelesen, um sich abzulenken und nicht dauernd auf den Tacho zu sehen, da er solch hohe Geschwindigkeiten, wie sie der Vampir gefahren war, mied, wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser. Noch während er sich umsah, packte er die Notizen wieder weg – überlegte einen Moment und schmunzelte, als er seine Tasche aufnahm und kurz nickte. "Am Besten, wir gucken gleich – Erstens ist es ein herrlicher Tag, Zweitens nutzen wir die Zeit so am Besten und Drittens ist mein Koffer hier ja schön sicher. Und du kannst es ja eh nicht mehr erwarten, Hm ? Also gehen wir ... ne Ahnung, wo wir hinmüssen ?" Col sah hoffnungsvoll auf den Vampir, als er ausstieg – warf dann die Türe des Autos zu und streckte sich, schloß die Augen und genoß einfach nur die Sonne auf seiner Haut.
Nur ein Nicken war die Antwort, dann setzte der Vampir den Wagen noch ein ganzes Stück weiter auf das Feld hinaus und in einen Strauch hinein. Daß das nicht grad förderlich für den Lack war, störte Shak nicht weiter. Einen Moment lang stand er dann vor dem Auto und konzentrierte sich. Etwas auf der Motohaube malend, manifestierte er seine Magie. Niemand würde den Wagen wirklich wahrnehmen, auch wenn er ihn sehen konnte. Er wollte hier im Ort kein Aufsehen erregen und so schien ihm das das Beste zu sein. Als er zurück zu Col kam, sah dieser ihn fragend an und setzte sein Strecken und Gähnen wieder fort, was er nur unterbrochen hatte, um zu sehen, was Shak da gemacht hatte. Ganz dicht ging er um den Forscher herum, dessen Blick sich zuerst in seinen Hals bohrte. "Du solltest mich nicht reizen..." flüsterte er an dessen Ohr, bevor sich ganz kurz seine Lippen auf die Haut legten, die über der Halsschlagader war und ganz plötzlich eine feine Wunde hatte. Das alles ging recht schnell und wenn sie Jemand beobachtet hätte, hätte dieser nur gesehen, daß Shak an Col vorbeigegangen war. Er grinste breit, als er auf der Straße stand und langsam in den Ort reinmaschierte.
Tief erschauernd, genoß der junge Forscher das Gefühl noch einige Herzschläge, ehe er sich mühsam daraus löste – dann seufzte er leise und nahm seine Tasche wieder auf, folgte Shak und ließ interessiert seinen Blick schweifen. Schon als sie die ersten Häuser passierten, erwachte ein Lächeln auf den Zügen Cols – er liebte diese einfachen Häuser, die mit Blumen aller Arten geschmückten Vorgärten und konnte sich nur mit Mühe darauf konzentrieren, daß sie hier eine Aufgabe hatten. Eine, die nicht gerade sehr leicht war – denn es gab hier kein Schloß oder Ähnliches, der einzige Anhaltspunkt, den sie hatten, war die kleine, doch schon jahrhundertealte Kirche. Ein kurzer Blick auf den kleinen Friedhof genügte, um zu wissen, daß sie bei den normalen Gräbern nicht fündig werden würden – doch dann fesselte etwas völlig Anderes die Aufmerksamkeit des jungen Forschers und er holte seine Digitalkamera raus, begann, die großen, verwitterten Steine in der Kirchenmauer zu fotografieren und strich letztlich mit den Fingerspitzen über die fast unleserliche Schrift. "Faszinierend ... äußerst faszinierend." Die Augen Cols strahlten vor Eifer, als er völlig in seinem Forscherdrang aufging – ohne mehr auf Shak zu achten, setzte er sich hin, nahm den Laptop und lud die Fotos ein, um sie mit einem bestimmten Programm, das Restaurateure gerne benutzten, zu bearbeiten. Und wie erwartet, wurde die von Wind und Wetter in all den Jahren verwitterte Schrift langsam lesbar – ein leises "Bingo ...." wispernd, nickte Col und begann nun nach und nach alle Fotos aufzubessern, darauf hoffend, daß er vielleicht fündig werden würde.
"Was tust du da ?" Wieso machte Col denn Fotos und klimperte schon wieder auf seinem Laptop herum ? Doch als er sich über die Schulter des Forscher beugte, sah er den Grund allein. Das, was Col jetzt tat, war übersetzen von uralten Schriften. Da sie aber so alt waren, waren sie auch nicht sofort lesbar. Bevor Col ganz und gar in seiner Welt versunken war, entlockte er ihm noch, wie lange die Entschlüßelung dauern würde. "3-6 Stunden..." kam die gemurmelte Antwort. Der Vampir schlug sich an die Stirn. "Die warte ich sicher nicht hier !" Er schnappte sich Col und zerrte ihn mit sich zurück in den Ort. Ein Gasthaus fand sich schnell, welches auch Zimmer anbot. Natürlich wurden die beiden befremdlich aussehenden Männer skeptisch von der Dame des Hauses beäugt. Doch mit Engelszungen und ein wenig Hypnose erhielten die Beiden ein Zimmer. Die Dame sah Col immer wieder an, der wie irre auf seinen Laptop starrte und immer wieder was stammelte. Sie stempelte ihn für nicht ganz geistig zurechnungsfähig ein. Letztendlich hockte Col an einem Tisch im Zimmer und Shak lag rauchend auf dem Bett. Er freute sich auf die bevorstehende Nacht. Er würde in Trier jagen gehen. Seufzend sah er zum Himmel und blies feine Rauchringe zur Sonne hoch. "Geh unter... geh unter...." sagte er alle halbe Stunde.
Als endlich die Nacht kam und Shak verschwunden war, kippte Cols Kopf einfach auf die Tastatur seines Laptops und er schlief wie ein Toter.
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Eine lange Zeit war vergangen. Es war tiefe Nacht inzwischen. Kaum ein Stern erhellte den Himmel, der dunkel und drohend über Rom lag. Das Nachtleben fand auch nicht hier statt, die Gasse war wie ausgestorben. Aber das wirkte auch nur so. Die Gebäude warfen Schatten, die nicht so ganz zu ihrer Konstruktion passen wollten. Aber nur ein aufmerksamer Beobachter konnte die Verursacher dafür ausmachen. Vampire. Sie lauerten in der Gasse. Ihre rot glühenden Augen glitzerten nur wenige Male. Unruhe hatte Einige ergriffen. Aber nicht Krutari. Im Gegensatz zu bestimmten anderen seiner Familie. Er schmunzelte leicht und strich sich durch die schwarzen Haare mit dem leichten Benzinschimmer. Sie gingen ihm bis knapp zum Po und waren an einer Seite abrasiert. Dafür zierten Tribals den kahlen Halbkopf. Die Augen hatte Krutari starr auf die Gasse mit den Nebelschwaden gelenkt. Hin und wieder gab er Zeichen an seine Mitstreiter. Dann kam plötzlich mehr Regung in ihn. Er richtete den bisher geduckten Oberkörper auf und sah angestrengter auf einen der Gullydeckel. Ein feiner Geruch schwang in dem Nebel mit, der seinen Ursprung eben genau von dem Deckel dort hatte. Auch die anderen Vampire nahmen den Geruch wahr. Sie zogen sich noch weiter in die Schatten zurück.
Mit einigen Mühen schoben pelzige Krallen den Eisendeckel weg. Langsam und leise sollte sich der Eingang freilegen. Noch viel vorsichtiger kam ein Kopf hervor. Menschlich wirkte er und anmutend schön, hatte schwarze Haare und saphirblaue Augen. Diese sahen sich aufmerksam um, ließen sich Zeit, um die Umgebung genügend zu prüfen. Das Mischwesen konnte nichts Befremdliches feststellen und so wagte es sich heraus. Geschmeidig entlockte er dem dunklen Gullyloch einen schlanken, 1,80 m großen Körper. Katzenhaft lief er die Gasse entlang und hockte sich 3 Meter weiter hin. Krutari beobachtete das menschlich wirkende Wesen mit einiger Neugierde. Seit er denken konnte, hatte er diese Wesen bekämpft. Eiskalt waren seine Überfallkommandos über diese Mischwesen hergefallen und hatten sie niedergemetzelt, wo es nur ging. Niemand konnte sich erinnern, warum der Krieg zwischen den Werkatzen und den Vampiren stattfand. Sie waren sich ebenbürtig. War der eine dem Anderen in Stärke überlegen, so war es der Andere in der Anzahl. Und das war auch der einzige Grund, warum beide Rassen noch existierten. Nie machte sich Krutari Gedanken darum, wann das hier einmal ein Ende finden würde, nie fragte er nach dem Grund, warum er sein Leben immer und immer wieder riskieren musste. Doch als er die blauen, suchenden Augen des Jungen sah, begann sich doch ein leises Rädchen in seinem Kopf zu drehen. Seine sonst so kalte Gleichgültigkeit in einem Kampf begann zu bröckeln. Unruhe wollte ihn anspringen. Er wusste nur zu genau, dass es möglich war, dass er hier als Einziger lebend wieder rauskam. Unbewußt sah er zu dem Jüngsten in seiner Truppe, der dem Jungen mit den saphirblauen Augen nicht unähnlich war. Beide würden den nächsten Morgen nicht erleben. Das war dem Vampir genauso klar, wie die Tatsache, daß er in der nächsten Nacht wieder Blut trinken musste. Irritiert schüttelte der Vampir den Kopf. Was dachte er da ? Der andere Vampir, der Jüngste von ihnen, hatte Krutaris Blick bemerkt und sah ihn fragend und gleichzeitig ermahnend an. Krutari rief sich zur Ordnung und sah wieder in die Gasse hinab. Hinter dem Jungen krochen mehr Gestalten hervor, diese waren aber eindeutig als Werkatzen unterwegs. Das hieß, sie wussten, dass Jemand auf sie hier oben lauerte. Aber woher konnten sie das wissen ? Und dann ging der Tumult auch schon los. Nicht nur aus dem Gullydeckel krochen sie hervor. Nein ! Sie waren plötzlich überall ! Das war eine Falle. Wütend fauchte Krutari auf und sprang von dem Fenstersims hinab in die Gasse. Dicht hinter ihm folgte eine dieser Mistviecher und fuhr die Krallen aus. Nur knapp verfehlten sie den Vampir. Schnell fanden sich in der Gasse Kampfpaare, die Rücken an Rücken standen und ihre Haut verteidigten. Flammenwerfer leckten über Fell, ergriffen mehrere der Mischwesen und verwandelten sie zu lebenden Fackeln. Der Rest wich aber nicht zurück, sondern drang auf die Vampire ein. Krutari hatte sich mit dem Jüngsten zusammengefunden, der mehr als nur energisch kämpfte. Auch, dass neben ihm ein Vampir fiel und sich eine Werkatze über ihn hermachte, ihn mit den Krallen durchs Fleisch fuhr, als wäre es dünner Stoff, die Knochen zerbrach und Eingeweide über das Kopfsteinpflaster verteilte, brachte ihn anfänglich nicht aus der Fassung. Ein großes Werwesen griff ihn jetzt an, seine blauen Augen blitzten auf, wurden wieder rot, Krallen fuhren aus und dann war der Tod bei ihm. Es ging alles so schnell, darauf hatte ihn das Training nicht vorbereitet. Seine Krallen hatten ins Leere geschlagen, dafür sah er jetzt an sich herab, da er merkte, dass etwas in ihm steckte. Er sah auf den pelzigen Arm, der in seinem Bauch steckte und sein schwarzes Blut daran herab lief. Der Junge musste würgen. Schwarzes Blut floß über seine feinen, geschwungen Lippen am Kinn hinab zum Hals. Er machte den Mund auf, japste nach Luft, als wäre er ein Fisch an Land. Er ließ seine Waffe fallen und ergriff den Arm, hielt sich daran fest, da er merkte, wie ihm die Knie nachgaben. Langsam hob er den Kopf, sah dem Tod in die Augen. Seine wieder komplett menschlichen Züge wirkten ungläubig. War das wirklich sein Ende ? Hatte ihm da wirklich Jemand den Arm komplett durch ihn durchgejagt ? Doch wo war der Schmerz ? Das alles wirkte so unwirklich, nicht real und zog sich lange hin. Doch in Wirklichkeit vergingen nur ein paar Sekunden. Für den jungen Vampir schien dieser Zustand eine Ewigkeit zu dauern. Seine großen, schönen Augen füllten sich mit Tränen der Enttäuschung. Er war sehr jung für Seinesgleichen und hatte noch soviel zu erleben vor sich gehabt. Doch ihm wurde ein Strich durch die Rechnung gemacht. Aber nichts in seinem Gesicht zeigte Wut oder Haß. Fragend sah er den Tod an. Dieser wollte sich nicht weiter aufhalten, schließlich war hier ein Kampf, den es zu gewinnen galt. Er riß seine Pranke aus dem Sterbenden heraus, nahm ihm damit jedweden Halt, so dass der Junge auf die Knie ging. Stöhnend drückte er seine Hände gegen das Loch in seinem Bauch, versuchte, sein Innerstes bei sich zu behalten und kippte leicht nach vorn. "Krutari…." flüsterte der Sterbende und streckte seine zittrigen Finger dem Kämpfer entgegen. Der hatte nicht so schnell mitbekommen, was hinter ihm geschehen war. Doch dann sah er den Jungen und fauchte wütend auf. Schnell war er bei ihm, ergriff die Hand und hielt ihn fest, bevor er völlig umkippte und in dem Sud der Gosse landete. Hilfesuchend sah der Junge Krutari an, Angst spiegelte sich in seinen Augen wieder. Angst vor dem Sterben. Doch Krutari konnte nichts mehr unternehmen. Schon im nächsten Moment wurde der bleiche Körper in seinen Armen schlaff. Doch noch immer sahen ihn die blauen, glasigen Augen an. Langsam begann sich der Körper des Vampirs zu verflüssigen, bis er irgendwann selbst die Gosse hinunterfließen würde.
Krutari hatte sich abgewandt, voller ohnmächtiger Wut gegen den, der den Jungen auf dem Gewissen hatte und gegen diesen Krieg. Aufbrüllend verfolgte er das Mischwesen, welches den Jungen das Leben genommen hatte und stellte es. Der folgende Kampf war schnell und brutal. Im Endeffekt stand Krutari über einen Torso. Arme und Beine herausgerissen und verteilt. Kopf ungesund auf den Rücken gedreht. Bauch aufgeschlitzt und alles, was dort reingehörte, ruppte der Vampir gerade heraus und warf es um sich.
An anderen Stellen verlief der Kampf nicht weniger hart. Der Kundschafter, der als erstes aus dem Deckel gekrochen war, hatte inzwischen auch seine Werform angenommen und rang gerade mit einem größeren Vampir. Dieser schubste ihn zurück, so dass er weit wegstolperte, aus der Reichweite des Vampirs heraus. Der konnte nicht nachsetzen, da er gleich von der nächsten Katze angegriffen wurde. Der Kundschafter konnte sich nicht richtig abfangen und prallte gegen Krutari. Dieser war nicht auf so einen Angriff vorbereitet und verlor seinen Halt. Er kippte nach hinten weg und drehte sich sofort um, um zu sehen, woher die Gefahr kam.
Instinktiv hob Alejscha seine Pranke, um zuzuschlagen und so sein eigenes Leben zu schützen – er hatte sich in den Kämpfen so weit es ihm möglich war, zurückgehalten und erst gewandelt, als es nicht mehr vermeidbar war. Doch er hielt mitten in dem Schlag inne und erstarrte – seine Augen weiteten sich und er wandelte sich instinktiv wieder in seine Menschform, wich zurück und erschrak sichtbar, als seine Hand die Eingeweide des toten Werpanthers berührte. Alejscha war ein Außenseiter ... kleiner und auch nicht so kräftig wie die anderen Werwesen und auch nicht so blutgierig wie diese. Seine meiste Zeit verbrachte er außerhalb der Familien und in einer kleinen Kammer ... studierte die alten Schriftrollen und Bücher und mied die Kämpfe, die immer wieder geführt wurden. Doch dieses Mal hatte er sich nicht mehr drücken können – ihr Anführer hatte ihn gerufen und ihm befohlen, mitzugehen, da sie den Vampiren eine Falle stellen würden und jeden Mann brauchten, selbst so schwache und nutzlose Katzen wie ihn. Doch das war nicht der Grund, weshalb er dem Vampir vor sich nichts tat – er hatte zwei der anderen Vampire getötet, wenngleich mit schwerem Herzen, so doch ebenso schnell und erbarmungslos. Nein – diesen Vampir kannte Alejscha, kannte ihn mehr als nur gut. Es war üblich, daß beide Seiten die Anführer in diesem Krieg kannten ... und die Werkatzen hatten auch Bilder der Offiziere der Vampire, welche die Angriffe führten, damit sie sie als Erstes töten konnten. Alejscha kannte diesen Vampir – und genau deshalb brachte er es nicht fertig, sah mit großen Augen zu Krutari und wußte, daß er sein vor seiner eigenen Sippe gut gehütetes Geheimnis nun mit ins nasse Grab der Gosse nehmen würde, denn daß Krutari ihn verschonte, erwartete er nicht.
Im ersten Moment stockte Krutari der Atem. Der Werpanther vor ihm hatte seine Pranken schon ausgestreckt gehabt und er hatte auf den Schmerz gewartet. Doch der blieb aus, stattdessen verwandelte er sich zurück zum Menschen und wich auch noch zurück. Knurrend erhob sich Krutari und griff an. Noch bevor der Werpanter seine menschliche Gestalt ganz annehmen konnte, hatte er ihn erreicht. Seine linke Klaue legte sich um den Hals des Mischwesens und seine Rechte holte zum Schlag aus. Tief versenkte die sich in der Magenkuhle seines Gegenübers, so daß er nach vorn zusammen klappte. Der Vampir wollte das Knie nachziehen und es ihm unters Kinn plazieren. Doch bevor er treffen konnte, wurden sie Beide von 3 anderen, ineinander verkeilten Kämpfern regelrecht überrannt und gleich in den Kampf mit einbezogen. Krutari konnte gar nicht sagen, wer ihn da alles traf. Er wußte nur, daß sich seine linke Hand immer noch um den Hals des Kundschafters klammerte. Dann erzitterte die Erde und brach unter ihnen weg. Krutari und der Kundschafter hatten keine Gelegenheit mehr, sich irgendwo festzuhalten, während die anderen 3 von der Sache entweder nichts mitbekamen oder es erfolgreich ignorierten. Letztendlich fielen nur Krutari und Alejscha mehrere Stockwerke tief und über sie brach das Haus zusammen. Niemand hatte das im Kampfgetümmel mitbekommen.
Der Kampf ging ohne die Beiden weiter. Und für die Vampire sah es schlecht aus. Der Anführer war nicht mehr da. Ein großer Werpanter griff sich einen der Vampire, pflügte seine Pranke einmal quer über dessen Gesicht. Unterkiefer brach, Nase wurde in zwei Stücke gespalten, ein Auge existierte nicht mehr. Die andere Pranke donnerte in den Brustkorb des Vampirs und entriss ihm das Herz. Achtlos wurde der Körper fallen gelassen und der nächste Gegner anvisiert. Wieder erhellte eine Flammenlohe die Gasse, zwei der Werkatzen standen mitten drin und ihr Fell fing Feuer. Verkohltes Fleisch verbreitete seinen Gestank in der Gasse. In der Ferne waren Sirenen zu hören. Die Feuer und die Kampfgeräusche waren nicht unentdeckt geblieben. Doch das interessierte Niemanden. Sie kämpften. Blut floß in der Gosse lang, begleitet von Knochen und Fleisch. Zerfleischte Kadaver zierten mit ihren Gedärmen einen aufgestapelten Müllhaufen, als wäre es Weihnachten. Schmerzschreie mischten sich mit Kampfschreie. Inzwischen war auch klar, wer dieses Gemetzel gewinnen würde. Die Werkatzen waren einfach diesmal zuviele und wie immer in Stärke überlegen. Die letzten noch untoten Vampire flohen. Eine große, dunkle bis schwarze Lache hatte sich über die Gasse verteilt. Bald würde nichts mehr von einem Kampf zeugen. Die Toten wurden durch die Gullydeckel hinabgezogen, wenn sie sich noch nicht aufgelöst hatten.
Eine Handvoll Vampire schleppte sich zurück zu ihrem Unterschlupf und erstatte Bericht. Ein alter Vampir brüllte enttäuscht auf. Amar ballte die dünnen, knochigen Finger, seine Augen funkelten voller Wut und Haß. Er mußte einen neuen, fähigen Anführer der Kämpfer finden. Das war momentan die größte seiner Sorgen. Die Überlebenden ließen Amar mit seinen dunklen Gedanken allein. Sein eben noch vor Schmerz verzogenes Gesicht, entrückte zu einem irren Grinsen. Sein gehäßiges Lachen gepaart mit Wahnsinnigkeit schallte durch die Halle, wo Amar auf seinem Thron saß. Von Anderen ungehört sickerte es in die schwarzen Steine der Halle.
In einem verborgenen, dunklem Winkel hatte ein Gestalt in den Schatten dem Bericht gelauscht. Unbemerkt war sie dann aus der Halle regelrecht geflohen, bevor die Berichterstatter gingen. Ihr feingeschnittenes, püppchenhaftes Gesicht war entstellt durch Tränen und seelischen Schmerz. Schluchzend warf sich die Frau auf ihr großes Bett. Ein reichverziertes Himmelbett, verhangen mit dunkelrotem und schwarzen Samt. Ihre schwarzen, weichen Locken verteilten sich um sie herum. Ihr schlanker, makelloser Körper wurde in rhythmischen Abständen erschüttert. Dazwischen flossen über ihre vollen, blutroten Lippen Gebete. Ihre dunkelblauen Augen sahen immer wieder flehend zu einem Bildnis auf ihrem Nachttisch. Eine Mutter hatte ihren Sohn verloren. Ihre Hand ergriff das Bild und strich immer wieder darüber, während sie einen Namen flüsterte "Krutari..."
Doch Niemand ahnte, daß Krutari und Alejscha den Sturz überlebt hatten. Der Vampir öffnete langsam seine Augen. Einige Stahlbetonträger hatten sich verkeilt und die herabstürzenden Steine des Gebäudes abgefangen. Das Gebäude war eine baufällige Tiefgarage gewesen, in derem untersten Geschoß die beiden Gegner nun lagen. Ein leises Plätschern war zu hören. Irgendwo sickerte Wasser durch die Steine und zerbrochenen Wände hindurch. Rohrleitungen hingen zerfetzt dazwischen. Die Szenerie wurde hin und wieder durch eine flackernde Neonröhre erhellt, die den Zusammensturz überlebt hatte. An anderer Stelle zischten Stromkabel und sprühten hin und wieder Funken. Krutari versuchte, sich zu bewegen, was mit stechendem Schmerz beantwortet wurde. Aufschreiend sackte er wieder zurück. Er fingerte in den Taschen seiner Hose herum und zog zwei Knicklichter hervor. Kurz darauf warf er die grünlichen Leuchtstäbe in zwei unterschiedliche Ecken und sah sich genauer um. Er lag auf einer Betonwand, die unter ihm in zwei Hälften gebrochen war und die eingebetteten, 2-Finger breiten Stahlseile hatten sich nach oben verdreht. Krutari griff sich an seinen linken Oberschenkel und ertastete eines der Stahseile. Bedachter richtete er sich nun auf, verzog schmerzerfüllt das Gesicht und knurrte zwischen zusammen gepreßten Zähnen Flüche hervor. Das Stahlseil ragte ca. 10 cm aus seinem Bein hervor. Der erste Versuch, es einfach abzubrechen, ließ den Vampir gepeinigt aufschreien. Schweratmend klappte er wieder zurück. Nach geraumer Zeit richtete er sich wieder auf. Diesmal versuchte er, sein Bein eben 10 cm anzuheben. Langsam rutschte das zerschundene Fleisch vom Stahl ab. Qualvoll arbeitete sich das Bein mit Hilfe der Hände Zentimeter um Zentimeter höher. Mit einem letzten Ruck hatte Krutari endlich sein Bein frei, begleitet von einem markerschütterndem Schrei. Seine Heilkräfte setzten ein und begannen, das Loch im Bein zu schließen. Glück im Unglück, denn es war nur eine Fleischwunde. Sein restlicher Körper wies genug blutige Abschürfungen auf, Staub vermischte sich mit Blut, Schnittwunden zierten ihn und viele Prellungen. Doch auch darum kümmerte sich seine Heilkraft, auch wenn es längere Zeit dauern würde. Währenddessen sah er sich weiter um und entdeckte nun auch seinen Gegner. Zähnefletschend ging, kroch er auf den zu. Dieser war noch bewußtlos, aber auch so zugerichtet wie der Vampir selbst. Nur war dessen Körper nicht von irgend etwas aufgespießt. "Das können wir ändern..." murmelte Krutari und suchte sich entsprechendes Werkzeug dafür. Er löste einige Ketten von seiner Kleidung und fesselte das Werwesen. Dieser hier würde ihm nicht entkommen. Er würde ihn verhören. Er mußte wissen, woher die Werkatzen wußten, daß die Vampire in der Gasse warteten. Während er nach einem seiner Messer suchte, stutzte er und gefror in der Bewegung. Langsam drehte er sich zu dem Werwesen um. Wieso hatte das Vieh ihn eigentlich nicht angegriffen ? Es hatte doch gezögert, sich dazu auch noch in die weniger gefährliche Gestalt des Menschen zurückverwandelt. Mitten im Kampf ! Das mußte doch einen Grund haben. "Du hast mir Einiges zu erklären, Freundchen !" fauchte er in Alejschas Richtung. Irgendwo fand er eine alte Blechdose und füllte sie mit Wasser, welches er Alejscha ins Gesicht schütte und ihn dann rüttelte "Hey, wach auf !"
Nur langsam drang in das Bewußtsein des Werpanthers, daß Jemand ihn rief .... doch im selben Moment, in dem die Schwärze sich lichtete, setzte der Schmerz ein und er krümmte sich instinktiv zusammen, während ein leiser Laut seinen Lippen entkam. Auch wenn er die wie Lanzen aufragenden Stahlseile verfehlt hatte, so waren doch einige seiner Knochen gebrochen und manche hatten sich auch in Organe gebohrt – es schmerzte, doch die Selbstheilung Alejschas ließ die Knochen wieder zusammenwachsen und die Verletzungen abklingen, begleitet von einem manchmal schauerlich klingenden Knacken, bis der schlanke Werpanther schließlich schwer atmend zur Ruhe kam. Nur langsam hob er den Blick, erschrak bis ins Mark, als er Krutari vor sich sah und wich instinktiv zurück - doch er knurrte nicht und verkniff sich auch ein Zähnefletschen, während langsam Angst in ihm erwachte. Er konnte die Ketten fühlen, die ihn fesselten – er wußte, daß er sie vielleicht in seiner Werform zerreissen konnte, doch er tat es nicht, da es sinnlos wäre. Langsam senkte er wieder den Blick – auch wenn er nicht wußte, wieso ihn der Vampir noch nicht getötet hatte, so konnte dies jeden Moment passieren. Und so ergab er sich einfach in die für ihn ausweglose Situation - wenn er sich befreien würde, dann müßte er den Vampir angreifen und das ... konnte er nicht.
Als Krutari die saphierblauen Augen so angstvoll ansahen, erinnerte ihn der Kundschafter einmal mehr an den jungen Vampir, der vorhin im Kampf in seinen Armen gestorben war. Er knurrte das Bild weg und kümmerte sich um die Kreatur vor sich. Diese schien noch geschwächter zu sein, als er selbst. Das Knacken der Knochen ließ ihn unmerklich zusammenzucken. Er rückte näher zu dem Jungen und hockte sich neben ihn. Eine Hand griff in dessen Nacken und in die Haare. Schmerzvoll zog er daran "So, Mistvieh. Da du jetzt wach bist, kannst du mir hoffentlich ein paar Fragen beantworten. Als Erstes: Woher wußtet ihr, daß wir in der Gasse lauern ? Wer hat euch einen Tipp gegeben ?" Seine freie Klaue fächerte auseinander und suchte sich kleinere Wunden. Daran setzten sich die harten Nägel und würden zustechen, sollte Alejscha zögern oder ihn nicht befriedigend die Fragen beantworten können. Krutari hatte schon viele Verhöre geführt und bisher immer noch alles herausgefunden, was er wissen wollte, bevor das Opfer starb.
Instinktiv kam Alejscha dem Zug seines Peinigers nach, so daß es nicht mehr so schmerzhaft war ... sein Körper war so entspannt, wie es ihm möglich war, damit er den Vampir nicht noch weiter verärgerte. "Ich weiß es nicht ... ich lebe außerhalb der Familien, halte mich aus den Kämpfen raus, so gut es geht. Heute wurde ich gerufen und ich durfte nicht widersprechen ... ich weiß nicht, wie die Kundschafter von euch erfahren konnten." Langsam legte sich die Angst des Werpanthers ... auch sein Herzschlag wurde ruhiger, denn er wußte es wirklich nicht – und anders, als Jemand, der log, fürchtete er auch nicht, bei einer Lüge ertappt zu werden. Doch noch etwas Anderes sorgte dafür, daß er ruhiger wurde ... der Geruch des Vampirs, der so nahe bei ihm stand, so nahe, daß er sogar dessen Atem fühlen konnte.
Krutari hatte sich während der Worte wirklich auf den Herzschlag Alejschas konzentriert. Er lügte nicht. Es dauerte eine Weile, in der er aufmerksam in den Augen des Jungen nach einer Antwort suchte. Er legte seinen Kopf leicht schräg und ließ seine Krallen etwas tiefer sinken. Sie berührten noch offene Wunden und verhinderten, daß sie sich schließen konnten. "Was weißt du alles über uns ?" fragte er in ruhigem Ton.
Ein leises "Sehr viel ...." antwortend, entkam Alejscha ein leiser Schmerzenslaut, als sich die Krallen tiefer in sein Fleisch bohrten ... schwer atmend, beschleunigte sich sein Herzschlag wieder, doch lag dies nicht an einer Lüge, sondern an der Tatsache, daß der junge Werpanther nicht wußte, wie er es sagen sollte und nach Worten rang, während der Schmerz das Denken erschwerte. "Nichts von dem, was ihr gerade macht – ich ... ich lese die alten Schriften, die Chroniken, die über euch handeln. Ich weiß nicht, wie ich dir korrekt antworten soll, Krutari .... bitte, ich ..." Einen Moment lang verstummte Alejscha – er haderte mit sich selbst, doch dann wisperte er ein leises "Ich kanns dir aber zeigen ...", bei dem er seine Augen verschämt schloß und wieder verstummte.